Nordertor-Chor Flensburg
Singgemeinschaft Edelweiß
Im Februar 1909 luden sangesfreudige Männer ebenso sangesfreudige Frauen
ein, gemeinsam
zu singen sei reizvoller - die Singgemeinschaft
Edelweiss war gegründet.
Warum wählten die Gründungsmitglieder
unseres Vorgängerchores eine Alpenblume zum
Chornamen? Als
Österreicher wurde ich neugierig. Frohsinn oder Fidelitas, Hoffnung oder
Eintracht, so lauten die Chornamen in Norddeutschland! Doch
Edelweiß?
In der Wahl des Chornamens weht immer der politisch
kulturelle Zeitgeist, der Name ist für
sich schon Programm und prägt
auch sein kulturelles Leitbild. Einerseits schafft er eine
Identität
nach Innen, andererseits auch eine Abgrenzung nach Außen. Wollten unsere
Gründungsmitglieder das? Sich abgrenzen? Wenn ja, wovor? Warum wurde
ausgerechnet das
Edelweiß in den Chornamen gepflückt? So unscheinbar
diese Blume auch ist, hat sie doch in
relativ kurzer Zeit eine
immense Symbolgewalt erlangt. Das war nicht immer so.
Der Wandel der
Sichtweise beginnt im 18. Jahrhundert mit der Entdeckung der Alpen!
Mythos Edelweiß: zur Kulturgeschichte der Alpenblume
Bis in die
Neuzeit galten die Alpen mit ihren Bergen als bedrohlich, bewohnt von
bösen
Geistern, Hexen und allerlei Spuk. Mit dem Jahrhundert der
Aufklärung wurde den Alpen ihr
Schrecken genommen und ihre
Landschaft umgewandelt. Die Gründe dafür sind vielfältig:
Aufkommen
der Naturwissenschaftlichen Erforschung (Geologie), Einsetzen einer
Naturbegeisterung, auf der Suche nach neuen Motiven folgten Maler und
Schriftsteller
(Goethe, Reise in die Schweizer Alpen), die
Landschaft wurde verklärt, romantisiert und in der
Folge neu
konstruiert. Alsbald floh auch das städtisch-akademische Bürgertum aus
seinen
Städten der beginnenden Industrialisierung in die Reinheit
der Bergwelt, eine neue
Trendsportart etablierte sich: Der
Alpinismus mit Bergsteigen und Bergwandern.
Die ersten Alpenvereine
wurden gegründet und das Edelweiß wurde deren Vereinsemblem.
Mut,
Tapferkeit, Ausdauer und Leistungswille waren die hoch gehaltenen
Tugenden der ersten
Alpinisten. Diese bürgerlichen Wertvorstellungen
wurden auf die zarte Alpenblume übertragen,
das Edelweiß somit als
Symbol moralisch aufgeladen. Gegen Ende des 19. Jh. waren die
Alpentäler weitgehend mit der Eisenbahn erreichbar, und die Ferienorte
bereit für den Belle-
Epoque-Tourismus. Blumenmotiven umrankten die
gedruckten Fahrpläne und Werbeplakate
der Hotels und Kurorte, auf
Urlaub in´s Gebirg´ zu fahren war eben schick. Ansichtskarten
waren
ebenfalls ein neues Medium dieser Zeit, und überall nahm die Alpenblume
einen
prominenten Platz als Zierelement ein. Zwei Kulturtechniken
der Moderne, der Tourismus
und der Alpinismus haben dem Gewächs
seine heutige Bedeutung verliehen: Das Edelweiß
wurde somit eine
Konstruktion des 19. Jahrhunderts!
Von der Singgemeinschaft
Edelweiß zum Nordertor-Chor Flensburg
Diese Werteübertragung und
ideelle Aufgeladenheit der Alpenblume war unserem
Vorgängerchor
nicht bewusst bekannt, da bin ich mir ziemlich sicher, trotzdem nannten
sie
sich Singgemeinschaft Edelweiß. Warum? Die populäre Vermarktung
könnte einer der Gründe
sein. Die Sichtbarkeit der Blume war nun
nicht mehr nur auf den Alpenraum begrenzt, sondern
wanderte aus in
die Städte und bis in die Niederungen des Flachlandes. Als gedrucktes
Motiv
prangte sie nun auf Ansichtskarten, in den Werbebeilagen der
Zeitungen und Illustrierten, in
den Verzierungen von Hausrat, als
Ornamentschmuck von folkloristisch angehauchter Mode,
als Titelbild
von Heimatromanen, kurz und mit den Augen der Kulturkritik: die Blume
wurde
sichtbar, modern, doch das elitäre Wertekonstrukt der
Seltenheit verwelkte.
Die Massenverwertbarkeit und
Kommerzialisierung rüttelte jedoch nicht an der Exklusivität,
oben
drüber strahlte nach wie vor in reinem Weiß: Das Edelweiß als neue Ikone
der
Alpenflora! Weitaus geeigneter dafür wären die Alpenrose (blüht
üppiger, leider rotrosa) oder
der Enzian (leider blau, aus seinen
Wurzeln wird immerhin Schnaps gebrannt!).
Das Edelweiß war rein,
weiß, exklusiv und modern! Sollte dies die Antwort auf meine
Eingangsfrage sein, oder ist´s doch nur Spökenkiekerei?
1975 gab
sich die Singgemeinschaft Edelweiß den Namen Nordertor-Chor Flensburg,
damit
wurde das Wahrzeichen der nördlichsten Stadt Deutschlands im
Chornamen festgeschrieben.